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Gerhard-Hauptmann-Straße

Dieser Bericht erschien am 7. Juni 2021 im "Dieburger Anzeiger".

Gerhard HauptmannGerhard HauptmannMehr als eine Million Straßen und Plätze gibt es in Deutschland. Wobei Straße nicht immer "Straße" heißt. Auf "-straße" endet nur etwas mehr als die Hälfte aller Einträge. Daneben gibt es fast 290 00 Mal "-weg", 33 00 Mal "-gasse" und "-gässchen" sowie 23 00 Plätze. Hinzu kommen "-hof", "-kamp", "-ring", "-chaussee" und "-allee". (Quelle: Zeit.de von 2018-05 – Straßenverzeichnis – Straßennamen - Deutschland)
So ähnlich verhält es sich auch in Dieburg. 138 Straßennamen gibt es für Wege, Gassen, Alleen, Plätze, Stege und Brücken, davon tragen 50 den Namen einer Persönlichkeit. Das Straßennamenverzeichnis (siehe auch Jahrbuch des Heimatvereins von 2016) macht unter anderem deutlich, welche bedeutsamen Persönlichkeiten aus der Geschichte ausgewählt wurden. Aufgrund der Idee eines Dieburger Bürgers setzt der Heimatverein Dieburg (HVD) hier an und möchte die Gelegenheit nutzen, in Form kurzer Portraits über die historisch bedeutsamen Persönlichkeiten zu berichten. Welche Menschen stecken eigentlich hinter den Straßennamen unseres geliebten Städtchens? Bei den zahlreichen Stadt- und Nachtwächterrundgängen konnte bisher immer wieder ein Einblick in die Bedeutung der Straßenbezeichnungen gegeben werden (zum Beispiel die handwerklichen Bezüge wie Schlossergasse, Hutmachergasse). Die Aufmerksamkeit soll nun mehr auf die berühmten Persönlichkeiten gelenkt werden, deren Namen den Straßen verliehen wurden, die wir tagtäglich, wie selbstverständlich, passieren. 
Wir beginnen aus Anlass des Todestages von Gerhart Johann Robert Hauptmann am 6. Juni 1946 mit der Gerhart-Hauptmann-Straße.
Beginn, Entwicklung und Werdegang 
Geboren am 15. November 1862 in Schlesien, mit dem er sich lebenslang verbunden fühlte, gab es in seinem Leben drei Pole, die ihn prägten und anzogen: das Riesengebirge, Italien und die Ostsee. Die Großstadt Berlin war Ausgangspunkt und Bestätigung seiner künstlerischen Erfolge, sie machte ihn berühmt. Aber gelebt hat er in Großstädten nie über längere Zeit. Er war sein Leben lang ein wissbegieriger und nachhaltig genießender Reisender.
Bildung & Heirat 
Eigentlich wollte Hauptmann Bildhauer werden, besuchte die Kunstschulen in Breslau und Dresden und ließ sich von der griechischen und römischen Antike in Italien inspirieren, hörte aber auch Vorlesungen zu Philosophie, Naturwissenschaften und Geschichte in Jena und Berlin und nahm Schauspielunterricht.
Als er mit 23 Jahren heiratete, hatte er keinerlei Abschlüsse, war auf der Suche nach seiner künstlerischen Begabung, nach dem eigenen Weg. Die Heirat mit Marie Thienemann vom Hohenhaus, einer reichen Dresdener Kaufmannstochter, ermöglichte finanzielle Sicherheit. So konnte er sich eine Existenz als freier Schriftsteller aufbauen.
Der Weg zum Erfolg 
1889 wurde er ‚über Nacht berühmt' durch die skandalbegleitete Uraufführung seines ersten Dramas „Vor Sonnenaufgang" am Berliner Lessingtheater. Begeisterung und Ablehnung waren gleich groß.
Theodor Fontane erspürte das Talent Hauptmanns, er schrieb, dass „die Neuheit und Kühnheit der Probleme, die kunstvolle Schlichtheit der Sprache, die Gabe der Charakterisierung und dabei konsequenteste Durchführung der Handlung" das Stück auszeichnete und nannte Hauptmann einen stilvollen Realisten von Anfang bis Ende. Da war er gerade 27 Jahre.
Frühzeitig ist er in die Rolle eines Repräsentanten geraten, den viele Gruppen für sich reklamierten. Letztlich ist er aber eigene Wege gegangen, nach "seinem inneren Gesetz".

Gesellschaftskritiker 
Als einer der bedeutendsten deutschen Dramatiker und wichtigster Vertreter des naturalistischen Dramas an der Schwelle des 20. Jahrhundert gefeiert, überwand er in seinen großen Dramen den vom Naturalismus proklamierten Determinismus von Milieu, Vererbung und Zeitumständen durch echte, realistische Menschendarstellung.
Seine sinnliche, vitale Fantasie ohne philosophische und intellektuelle Abgehobenheit und die Grundthemen seiner Werke - Not des einzelnen und soziales Elend der Massen, Zerfall der Familie und der Kleinbürgerwelt, Hochmut der Bürokratie, Streben und Leiden des Künstlers, und immer wieder der unterdrückte und abhängige, an seiner eigenen Triebhaftigkeit oder der Teilnahmslosigkeit der Umwelt zugrunde gehende Mensch - machen bis heute die Aktualität, Brisanz und Spielbarkeit seiner Stücke aus.
Sagen-, Mythen- und Märchenspiele mit symbolischen und Traumvisionen, z. T. in Versen, ebenso wie Stücke mit historischen und antiken Stoffen finden sich in seinem Werk. In den Romanen und Erzählungen vermischen sich oft Dichtung und Autobiographie, was die Lektüre spannend macht. Weniger erfolgreich hat er sich in der Lyrik versucht, doch gibt es auch dort Bleibendes.
Anerkennung 
Gerhart Hauptmann gelang es mit seiner opportunistisch geprägten Grundhaltung in vier Staatsgefügen - dem Kaiserreich, der Weimarer Republik, dem Nationalsozialismus und dem Nachkriegsdeutschland - nicht nur relativ unbehelligt zu leben, sondern anerkannt, verehrt und gespielt zu werden. Hohe Auszeichnungen wurden ihm zuteil, 1912 erhielt er den Nobelpreis für Literatur, viele andere Preise (Goethe-Preis 1932, Grillparzer-Preise) folgten, er war mehrfacher Ehrendoktor.
In den 20er Jahren wurde Hauptmann zur Repräsentationsfigur der Weimarer Republik, nachdem der letzte Kaiser noch den "Rinnsteinpoet[en]" in ihm sah. Das Nazi-Regime hat ihn nicht gebilligt, aber geehrt, ausgewählte Stücke wurden gespielt. Nach Kriegsende sollte er den Ehrenvorsitz des Kulturbundes in Berlin übernehmen, sein Tod kam dem zuvor.
(Auszug von der Homepage des Gerhart Hauptmann Museums in Erkner)
"Echte Dramen sind immer Gegenwart"
In der letzten Dekade des 19. Jahrhunderts entsteht neben der Komödie "Der Biberpelz" das naturalistische Stück "Die Weber", das vom spontanen Aufstand der ausgebeuteten Weber 1844 handelt. Und Hauptmann weiß, worüber er schreibt: Um die Not der schlesischen Weber mit eigenen Augen zu sehen, ist er im Eulengebirge unterwegs und greift zurück auf die Erzählungen seines Großvaters, der selbst am Webstuhl gesessen hatte.
Die schlesischen Weber, die einem zynischen Fabrikbesitzer ausgesetzt sind, der allein auf den eignen Vorteil bedacht ist, bilden eine fundamentale Kritik an westeuropäischen Lebensbedingungen und den Folgen der Industrialisierung. Die Aufführung des Stücks wird vom Berliner Polizeipräsidium als Zensurbehörde zunächst verboten. Als die heute klassische Schullektüre nach Hauptmanns Sieg vor Gericht 1894 im Deutschen Theater in Berlin schließlich zum ersten Mal öffentlich aufgeführt wird, erklärt Kaiser Wilhelm II. aufgebracht, er werde das Theater nicht wieder betreten und kündigt seine Loge.
Noch immer werden "Die Weber" auf deutschen Bühnen inszeniert, denn der Kernkonflikt ist heute so aktuell wie vor 125 Jahren: die Leiden und sozialen Ungerechtigkeiten durch Lohndumping, Ausbeutung und Automatisierung. Hauptmann selbst sagte 1930 anlässlich einer "Weber"-Inszenierung an der Berliner Volksbühne: "Echte Dramen sind immer Gegenwart."

Angepasster Auszug aus dem NDR Portrait „Geschichte – Köpfe - Gerhart-Hauptmann-Dramatiker - mit - widersprüchlicher - Haltung“